Vernissage Ausstellung Pavel Schmidt « ps.’pfad sucher’», Galerie am Marktplatz Büren a.A.,
Sonntag 20.Oktober 2019
 
Lieber Pavel Schmidt,
Liebe Yoly und Rolf Käsermann,
Liebe Kunstfreunde,
Meine Damen und Herren,
 
Wenn wir durch die Säle eines Kunstmuseums schreiten, ist es uns allen angenehm, dort die Künstler anzutreffen, die wir schon kennen, um uns an den bekannten Werken zu erfreuen. Das freut uns, zeigt uns: Ich bin dabei, ich gehöre dazu. Von diesem sehr verständlichen und verbreiteten Kunstverständnis ausgehend, ist es natürlich schwierig, sich auf Pavel Schmidts Kunst einzulassen. Sein Kunstverständnis ist ein anderes. Es ist eines von Brüchen, von so-noch-nicht-Gedachtem und Dargestelltem, von verschlungenen Gedanken, von Suchen, von seltsamen und überraschenden Verknüpfungen.
 
Lassen sie mich das etwas genauer erklären. Kunstwerke stellen von je her etwas dar, eine Landschaft, eine Ansammlung von Gegenständen, sogenannte Stillleben, eine Szenerie, eine Geschichte, die – ob wir die nun schon kennen oder nicht – uns auf etwas Vorbestehendes hinweist. Die christliche Ikonografie ist dafür im Abendland vielleicht das beste Beispiel: Alles, was hier vorgeführt wird, erweckt in uns einen Wiedererkennungs-Effekt.
 
Der Beginn der abstrakten Kunst stellte dazu einen grossen Bruch dar, weil jetzt plötzlich eigentlich «nichts» mehr zu erkennen, keine Geschichte nachzuvollziehen war. Dieser Bruch geht zeitlich einher – wir sprechen von der Zeit um 1910 – mit einem anderen, noch radikaleren Bruch, die ersten ganz eigenständigen Werke von Marcel Duchamp, dem es mit seinen ersten Ready Mades (das Velorad auf einem Podest, das umgekehrte Pissoir-Becken) genügte, zu Alltagsgegenständen zu erklären: das ist jetzt Kunst. Was ihn im Grunde einzig interessierte, war, die «creatio ex nihilo», die schöpferische Arbeit von null aus.
 
Darum geht es Pavel Schmidt, der bei den zahllosen Begegnungen mit wichtigen Künstlern einzig Marcel Duchamp als Mentor anerkennt. Auch seine Geschichten sind eigentlich keine. Seine Bilder sind keine, seine Skulpturen sind verfremdete Ready Mades.
 
Schauen wir uns das etwas genauer an. Natürlich beherrscht Pavel sehr wohl das figürliche Zeichnen. Aber die hier dargebrachten Arbeiten etwa des Zyklus «Flucht» sind dergestalt, dass wir zwar permanent nach uns bekannten Figuren suchen, aber keine finden. Sorgfältig vermeidet es der Künstler, sich dem Figürlichen hinzugeben. Es sind offene Formen, man könnte sagen: organischer Natur, aber darüber hinaus kommen wir nicht. Es sind sehr freie, fantasievoll gesetzte Liniengespinste, fliessende Läufe, die von Veränderung erzählen, ohne sich auf etwas bereits Bestehendes zu berufen, «ex nihilo» halt, aus dem nichts heraus. Wenden wir uns der letzten der 13 Arbeiten dieses Zyklus zu, mit dem Titel «Flucht und ihre Zufluchtslosigkeit». Was sehen wir hier: etwa einen Tisch? Aber nein doch, es wäre dann eher ein rundlicher Spiegel, durch den hindurch wir auf die blauen Striche dahinter schauen. Aber was sind das für Striche? Und da sind doch vier beinartige Fortsätze ausserhalb des Runds. Also doch ein Tisch? Na ja, das wäre dann ein seltsames Ding. Nein, es sind nur aus einem halbbewussten, vielleicht sogar trance-artigen Befinden heraus gemalte Zeichen, die sich zu einer unbekannten, unerkannten Gestalt zusammensetzen.
 
Das Thema des Zyklus heisst denn auch «Flucht». Wird hier nun die Geschichte einer Flucht erzählt, etwa mit Anklang an die so aktuellen traurigen Ereignisse? Keineswegs, wenn auch dieser Gedanken beim Betrachter vorhanden ist. Es geht vielmehr um ein bildnerisches Nachdenken und Suchen mit der Begebenheit «Flucht» als solcher. Deshalb die schon fast apodiktischen Untertitel, nach denen die Flucht ausweglos, hoffnungslos, richtungslos, sprachlos, fassungslos, schutzlos, zufluchtslos, zwecklos, machtlos, hilflos, sinnlos, und ziellos ist.
 
Da werden wir also alle in den - in unsere eigenen Leben gängigen - Fluchtbewegungen auf uns selbst geworfen, und die Liniengespinste führen uns dann die Vergeblichkeit des Unterfangens vor. Das ist traurig, defätistisch, ja schon fast nihilistisch. Das geht so weit, dass ja auch der Künstler selbst sich der Vergeblichkeit seines Unterfangens bewusst ist: Indem er sich aus der Welt der wiedererkennbaren Darstellungen zurückzieht - man könnte sagen: flieht - setzt er sich seinerseits der Ausweglosigkeit seiner Tätigkeit aus. Selbstironie ist das. Und das schätze ich bei Pavel Schmidt besonders. Es ist einfach, sich ironischerweise über die anderen auszulassen. (So funktioniert meist der Humor.) Schwieriger ist es, das über sich selbst zu tun.
 
 Wir wissen: Im Unterschied zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Designs ist die freie Kunst eigentlich sinnlos, hat jedenfalls keinen konkreten Zweck wie etwa ein schön designter Stuhl oder ein wunderbar ornamentierter Teppich.  
 
Wenn wir uns noch auf den «Subtext» der Arbeiten Pavel Schmidts einlassen und zwischen den Linien – respektive «hinter den Strichen» – lesen wollen, können wir zur Kenntnis nehmen, dass das hier 13 Arbeiten sind. Nun ist die Zahl 13 die negativste unter allen und seit der Antike als solche bekannt. Philippus von Mazedonien wurde ermordet, nachdem er den 12 Statuen der wichtigen Götter Griechenlands seine dreizehnte hinzugefügt hatte. Und die Geschichte von Judas, dem 13. Apostel kennen Sie ja. Pavel Schmidt spielt mit all dem, und also erzählt er im Subtext – er, der ja keine Geschichten erzählt – doch eine Geschichte.
 
Und damit sind wir bei einem der Wesenszüge seiner Arbeit. Es geht hier um Isolation UND Verbindung, um Auflösung UND Übereinkunft, um Geschichtslosigkeit UND Geschichten, um Hoffnungslosigkeit UND Hoffnung. Wenden Sie sich im hinteren Raum den Bildtiteln zu. Dort lesen Sie etwa: «Hierhin - Dorthin», nein, falsch gelesen, weil wir es halt gewohnt sind, diesen Spruch so zu lesen. Richtig heisst es: «Hierhin – Dorthirn». Diesen ironischen Titel wollen wir hier nicht auch noch aufschlüsseln. Ich überlasse das den Gesprächen mit dem Künstler während des Aperos. Auf einem anderen Werk lesen Sie die Unterschrift «Unerfüllt». Aber der Künstler hat darunter hinzugefügt: «Unerfühlt». Eine blosse Sprachspielerei? Überlegen Sie: Hat vielleicht ein unerfülltes Leben etwas mit einem unerfühlten zu tun?
 
So geht das hin und her – respektive, nach Schmidt: «Hier Hirn und her». Der Sprachschöpfer Pavel Schmidt führt uns weiss der Teufel wohin und verwickelt uns in die grössten Widersprüche, die natürlich auch unsere sind. Ist etwa das «Drei-Seen-Land» ein «Drei-Seelen-Land»?
 
Erlauben Sie mir ein letztes Wort zu der grossen Skulptur hier im Hauptraum, wo der Künstler sein Spiel auf die Spitze treibt. Wir meinen ja nun verstanden zu haben, dass seine Linien-Geschlinge etwas schwer Verständliches sind, das zu allerhand Spekulationen einlädt. Nun nimmt er aber für die hier aufgebaute, in der Tat in ausserordentlich verspielten Linien sich ergiessende Skulptur das einfachste Bauelement, das man sich vorstellen kann, ein Regenrohr-Winkel der Firma Strub und Blaser, Winkel 85°, geschweisst, Durchmesser 75 mm, Artikel Nummer 20.211.85.075.1, das Einfachste vom Einfachen, und baut damit ein Luftschloss der ihm eigenen Art, das jetzt wieder zu etwas Alltäglichem, der sprichwörtlichen bernischen Langsamkeit Bezug nimmt. Der Titel heisst: «Lange Leitung (Können Menschen mit einer solchen auch etwas länger leben?)». Im Gegensatz dazu heisst das kleine, davor an der Decke hängende «Kurze Leitung». Und bei einem weiteren kleinen, ebenfalls hängenden wird es dann gleich wieder philosophisch: «Leitung geschlossen und unendlich».
 
Sie sehen, so funktioniert halt Kunst heute auch. Ich meine, dass damit eine Poesie der besonderen Art einhergeht, eine Poesie der vom Transportieren vorbestehender Botschaften befreiten, ja freien Linie, die ihre eigenen geheimnisvollen «Geschichten» erzählt, und dass Sie, meine Damen und Herren, wenn sie sich drauf einlassen wollen, nach einiger Zeit Ihre Freude an den seltsamen Arbeiten haben werden.
 
Walter Tschopp   
 
 
 
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